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Politische Fehlkalibrierung: Das Ende des europäischen Verbrenner-Verbots



Politische Großprojekte scheitern selten an einem einzelnen Beschluss. Meist sind es aufeinanderfolgende Fehleinschätzungen, die sich über Jahre verfestigen, gegenseitig verstärken und schließlich eine Korrektur erzwingen. Das von der Europäischen Union beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035 bildet dafür ein exemplarisches Beispiel.

Was als klimapolitisches Leuchtturmprojekt begann, entwickelte sich schrittweise zu einem Konfliktfeld zwischen Klimazielen, industrieller Realität und politischer Tragfähigkeit. Die jüngste Entscheidung der EU-Kommission, das faktische Verbot neuer Verbrennungsmotoren aufzugeben beziehungsweise erheblich zu relativieren, ist daher weniger als plötzliche Kehrtwende zu verstehen denn als notwendige Reaktion auf eine lange Kette struktureller Fehlannahmen.

Diese Analyse betrachtet das Verbrenner-Aus nicht aus der Perspektive politischer Schuldzuweisungen, sondern als Fallstudie politischer Steuerungsfehler: Welche Annahmen erwiesen sich als falsch? Wo wurden Risiken unterschätzt? Und welche Konsequenzen ergaben sich aus dem Zusammenspiel von Klimapolitik, Marktmechanismen und industriepolitischen Zwängen?

Die folgende Fehler-/Fehlerfolgen-Aufarbeitung ordnet die Entscheidung der EU-Kommission in diesen Kontext ein und zeigt, warum das Scheitern des ursprünglichen Konzepts weniger ein Einzelversagen als vielmehr das Ergebnis einer systematischen Fehlkalibrierung europäischer Regulierungspolitik ist.

Fehler 1: Politisches Ziel ohne belastbare Umsetzungsprüfung
Fehler: 
Die EU beschloss das faktische Verbrenner-Aus ab 2035 auf Basis eines politisch ambitionierten Klimaziels, ohne eine realistische, belastbare Prüfung der industriellen, infrastrukturellen und marktwirtschaftlichen Umsetzbarkeit vorzunehmen.
Fehlerfolge:
  • Die Regulierung basierte auf Annahmen (rascher Ausbau der Ladeinfrastruktur, stabile Nachfrage nach E-Autos, wettbewerbsfähige europäische Batterieproduktion), die sich nicht erfüllten.
  • Frühzeitig entstand ein Spannungsverhältnis zwischen Klimapolitik und Industriepolitik.
  • Das Ziel verlor mit zunehmender Zeit an Glaubwürdigkeit.

Fehler 2: Gleichsetzung von „emissionsfrei“ mit „elektrisch“
Fehler: 

Obwohl formal technologieoffen formuliert, wurde das Ziel politisch und regulatorisch faktisch auf batterieelektrische Fahrzeuge verengt. Alternative Ansätze (E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, Hybridlösungen) wurden marginalisiert.
Fehlerfolge:
  • Innovationspfade außerhalb der Elektromobilität wurden wirtschaftlich entwertet.
  • Hersteller mit starkem Verbrenner-Know-how gerieten unter strukturellen Anpassungsdruck.
  • Politische Konflikte mit Mitgliedstaaten, die auf Technologieoffenheit setzten, verschärften sich.

Fehler 3: Unterschätzung der industriepolitischen Dimension
Fehler:
Die EU-Kommission behandelte das Verbrenner-Aus primär als klimapolitische Maßnahme und nicht als tiefgreifenden industriepolitischen Eingriff in eine der zentralen Schlüsselindustrien Europas.
Fehlerfolge:
  • Wettbewerbsnachteile gegenüber China und den USA wurden zu spät erkannt.
  • Produktionsverlagerungen, Investitionszurückhaltung und Arbeitsplatzsorgen nahmen zu.
  • Der politische Druck aus großen Automobilstaaten wuchs massiv.

Fehler 4: Annahme stabilen politischen Konsenses
Fehler:
 
Die Kommission ging davon aus, dass der einmal gefundene politische Kompromiss bis 2035 tragfähig bleiben würde – trotz wechselnder Mehrheiten, wirtschaftlicher Krisen und geopolitischer Veränderungen.
Fehlerfolge:
  • Nationale Regierungen begannen offen, das Ziel in Frage zu stellen.
  • Das Verbrenner-Aus wurde zu einem Symbol politischer Überregulierung.
  • Die Glaubwürdigkeit langfristiger EU-Regulierungen wurde beschädigt.

Fehler 5: Zu späte Kurskorrektur
Fehler: 
Warnsignale aus Industrie, Markt und Mitgliedstaaten wurden über Jahre ignoriert oder politisch relativiert. Die Überprüfung des 2035-Ziels erfolgte erst unter akutem Druck.
Fehlerfolge:
  • Die Kehrtwende wirkte abrupt und unkoordiniert.
  • Planungssicherheit für Hersteller und Investoren ging verloren.
  • Der Eindruck einer planlosen Klimapolitik verstärkte sich.

Fehler 6: Komplexe Kompromisslösung statt klarer Neuausrichtung
Fehler:
 
Anstelle einer grundsätzlichen Neubewertung entschied sich die EU-Kommission für eine technisch und regulatorisch komplexe Zwischenlösung (90-Prozent-Ziel, Kompensationsmechanismen).
Fehlerfolge:
  • Die Regulierung wurde schwer verständlich und teuer in der Umsetzung.
  • Weder Industrie noch Klimaschützer sind zufrieden.
  • Rechtliche und politische Folgekonflikte sind absehbar.


Gesamtfehlerfolge: 
Vertrauensverlust auf mehreren Ebenen

Aus der Kette dieser Fehler ergeben sich übergreifende Konsequenzen:

  • Verlust an regulatorischer Glaubwürdigkeit der EU.
  • Unsicherheit für Industrie und Investoren.
  • Abschwächung der Klimapolitik durch politische Rückabwicklung.
  • Polarisierung zwischen Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen.


Das gekippte Verbrenner-Aus ist nicht das Ergebnis eines einzelnen politischen Irrtums, sondern die logische Folge einer aufeinander aufbauenden Fehlerkette: von überambitionierten Zielsetzungen über realitätsferne Annahmen bis hin zu verspäteten und unklaren Korrekturen.

Die zentrale Lehre daraus lautet:
 Klimapolitik ohne industriepolitische Realitätsprüfung führt nicht zu Transformation, sondern zu Rückzug.